Design Thinking ist in vielen Unternehmen bereits fester Bestandteil der Produktentwicklung. Mit Dr. Sabine Wölflick von der Hochschule München haben wir darüber gesprochen worum es beim Design Thinking geht, wie man es lernt und welche Rolle Design Thinking in der Zukunft der Buchbranche spielen wird.

Dr. Sabine Wölflick ist seit 2008 Dozentin an der Hochschule München im Studiengang Druck- und Medientechnik. Nach ihrer Zeit im Produktmanagement eines Münchner Verlags lehrt sie nun im Bereich Marketing und leitet das Design Thinking Lab der Hochschule.

 

CLAUS: Design Thinking kurz zusammengefasst.

Dr. Sabine Wölflick: Ganz allgemein ist Design Thinking eine agile Innovationsmethode, die drei Dinge braucht: Ein multidisziplinäres Team, d.h. mit Knowhow aus verschiedenen Bereichen, einen festen Prozess, der in den Grundprinzipien des Design Thinking festgelegt ist und ein flexibles Arbeitsumfeld. Es ist ein Arbeitsprozess bei dem es darum geht, den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen und Fortschritte unter diesem Aspekt immer wieder zu hinterfragen. Design Thinking fokussiert auf das Wesentliche: Den Kunden.

CLAUS: Was meinen Sie mit flexiblem Arbeitsumfeld?

SW: Das Prinzip der Agilität spiegelt sich nicht nur in der Struktur der Vorgehensweise wieder, sondern auch in der Körperhaltung. Gearbeitet wird im Sitzen, im Stehen oder während man sich frei im Raum bewegt. Darauf ist auch unser Design Thinking Lab ausgerichtet. Wir haben Stehhocker und Sitzwürfel. Die gesamten Tische im Raum können beliebig umgestellt werden. Manchmal verschwinden sie auch komplett aus dem Raum und wir stellen alle 20 Kisten mit Prototyping-Materialien mitten in den Raum.
Außerdem haben wir eine schöne Kaffee-Ecke. Es muss einem gut gehen um kreativ zu sein!

CLAUS: Den Kunden in den Fokus zu nehmen klingt logisch. Der Prozess an sich dann aber doch eher komplex. Wie und wo lernt man Design Thinking? Oder kann man einfach loslegen?

SW: Ich würde sagen, man braucht ein gewisses Grundverständnis im  Marketing. Mit diesem Vorwissen kann man z. B. Workshops belegen um die Methode zu verstehen. Design Thinking ist in sechs Phasen unterteilt und ich denke, dass es wichtig ist, alle Phasen einmal durchlaufen zu haben, damit man einen Methodenbaukasten hat, mit dem man anschließend gut arbeiten kann. Diesen Baukasten kann auch ein Methodencoach liefern, wenn das eigene Grundverständnis vielleicht nicht so da ist.

CLAUS: Das Ganze klingt für mich noch relativ abstrakt. Wie genau läuft ein Design Thinking Prozess ab?

SW: Es gibt sechs Prozessschritte: die Zielgruppe verstehen, die Zielgruppe beobachten, Sichtweisen definieren, Ideen generieren, Prototypen entwickeln und Testen. An einem konkreten Beispiel wird es sicherlich deutlicher.

Alles beginnt mit einer Challenge. Das ist immer der Ausgangpunkt. Vor kurzem hat sich eine Studentengruppe hier im Design Thinking Lab mit der Challenge Printmedien, genauer gesagt Zeitung, beschäftigt. Zunächst hat sich die Gruppe die Frage gestellt: Wer ist die Zielgruppe und wie würden wir diese beschreiben? Im Gegensatz zu vielen gängigen Praxen in Unternehmen, folgt an diesem Punkt bereits das erste Mal eine Zielgruppenbefragung um Erkenntnisse und konkrete Aussagen zu bekommen. Auch mit Fotos der befragten wird gearbeitet. Die Studenten erfuhren bei ihrer Befragung, dass viele ihre Tageszeitung als zu groß und unhandlich empfinden. Mit diesen Erkenntnissen kehrte die Gruppe zurück und hinterfragte nun, was die Motivation hinter diesen Aussagen sein könnte. Vielleicht sind zu viele Themen in der Zeitung enthalten. Nicht alle Themen und Artikel sind für jeden gleich interessant. Es werden Sichtweisen definiert und aus diesen dann ganz unterschiedliche Ideen generiert. Nach einer festgelegten Zeit legten sich die Studenten auf eine Idee fest und entwickelten Prototypen. Mit diesen Prototypen wird dann wieder die Zielgruppe befragt, ist die nicht zufrieden, geht man im Prozess die nötigen Schritte wieder zurück und beginnt von dort erneut. Das kann mehrmals und auch sehr oft passieren.

CLAUS: Ist das nicht frustrierend?

SW: Das kann auch frustrierend sein, klar. Aber eigentlich kommt man beim Design Thinking relativ schnell in eine Art von Work-Flow und das tut richtig gut! Und es entwickeln sich daraus fundierte Ergebnisse. Wie bei meiner Studentengruppe: Das Ergebnis des Prozesses war ein Automat, der eine individuelle Zeitung mit ausgewählten Themen auf nur einer Seite druckt. Die Idee ist doch toll!

CLAUS: Arbeiten ausschließlich Studenten im Design Thinking Lab hier an der Hochschule?

SW: Für unsere Studenten ist es natürlich immer interessanter an einer konkreten Challenge zu arbeiten. Deshalb arbeiten wir oft mit Firmen zusammen, die ihre Challenge einbringen. Einige Unternehmen nutzen unser Design Thinking Lab auch für die eigene Innovationsfindung oder andere Projekte. Es gibt auch Gruppen, die sich durch den Design Thinking Prozess leiten lassen wollen. Diesen stehe ich dann als Methodencoach zur Verfügung.
Innerhalb unserer Hochschule findet das Prinzip ebenfalls großen Anklang und viele unterschiedliche Bereiche und Abteilungen haben diesen Raum bereits genutzt und kommen auch regelmäßig. Die Arbeit erscheint den meisten hier gar nicht als Arbeit. Design Thinking macht einfach Spaß!

CLAUS: Fehler machen gehört beim Design Thinking dazu. In der Schule und im Beruf lernen wir eher, Fehler zu vermeiden. Kann man das „Fehlerzulassen“ lernen?

SW: Fehler zuzulassen fällt vielen am Anfang wirklich etwas schwer. Es gibt eigentlich sogar drei Hürden für viele Studenten an denen sie am Anfang etwas gehemmt sind. Die erste Überwindung steht meist schon relativ am Anfang, wenn es heißt auf die Zielgruppe zuzugehen und diese zu befragen. Zunächst wollen die Studenten nicht so recht, aber wenn sie zurückkommen, heißt es oft: „ Wow! Toll, wie viel wir erfahren haben und wie offen die Menschen waren.“ Das sind auch meine Erfahrungen. Die Kunden freuen sich, dass ihre Meinung gefragt ist und aus einem gemurmelten „Leider keine Zeit“, entsteht dann auch schon mal ein Gespräch, das fast eine Stunde dauert.
Die zweite Hürde ist dann das besagte Ideen generieren. Hier geht es darum alle Ideen erstmal zuzulassen und nicht zu urteilen. Gerade daraus entstehen die besten Ideen.
Wenn es dann an die Entwicklung der Prototypen geht, sehen sich viele vor der nächsten Hürde. Ein haptisch erfahrbarer Prototyp dient zur besseren Vorstellung der Funktionen. Erst in der Gruppe, aber dann auch bei den Testpersonen. Zum Erstellen der Prototypen stehen 20 Kisten mit Prototyping-Materialien zur Verfügung. Man kann sich also kreativ ausleben! Viele der Materialien wecken sofort Kindheitserinnerungen, wie z. B. die Knete oder der PlayMais. Aber auch darauf muss man sich erst einlassen.

CLAUS: Ist Design Thinking ein allgemeiner Trend oder würden Sie es eher einer bestimmten Branche zuordnen?

SW: Besonders interessant finde ich, dass viele Softwareentwickler diese Methode anwenden. Menschen aus dem Bereich der IT nutzen häufig eine komplizierte Sprache, die für berufsfremde nur schwer zu verstehen ist. Design Thinking hilft, sich in die Zielgruppe hineinzuversetzen und schafft somit ein besseres Verständnis der Bedürfnisse der Kunden. Grundsätzlich ist Design Thinking immer einsetzbar und sollte dem Marketing vorangestellt sein. Im Verlag kann es z. B. für die Suche nach neuen Distributionskanälen bzw. neuen Absatzmärkten genutzt werden. Einfach überall da, wo es darum geht Herausforderungen oder Dinge strukturiert anzugehen und dann umzusetzen.

CLAUS: Braucht man besondere Eigenschaften um erfolgreich in einer Design Thinking-Gruppe arbeiten zu können?

SW: Bestimmte Eigenschaften braucht man nicht. Das Prinzip kann man lernen. Durch die multidisziplinären Gruppen kommen ganz verschiedene Denk- und Arbeitsweisen zusammen. Das ist entscheidend. Und in diesem Zusammenspiel entsteht dann richtig Gutes!

CLAUS: Speziell in der Buchbranche sind die Digitalisierung und im Allgemeinen die Zukunft des Buchmarktes immer wieder große Themen. Wie passt Design Thinking in diese Umbruchphase?

SW: Wunderbar! Man macht sich komplett frei von Dingen, die schon immer so waren. Print – online oder analog – digital ist eine Denkweise in Kategorien, die es im Design Thinking nicht gibt. Es gewinnt immer die für den Kunden bessere Idee. Der Kunde steht im Fokus!
Wenn ein erfahrener Redakteur sagt: „Eine ähnliche Idee gab es schon einmal und sie ist gescheitert.“, dann spricht er aus seiner persönlichen Erfahrung heraus, schließt aber bestimmte Ideen von Anfang an aus. Beim Design Thinking gibt es diese Scheren im Kopf nicht.

CLAUS: Verharren die Verlage zu sehr in alten Mustern?

SW: Das kann ich nicht genau sagen. Aber auf Konferenzen höre ich immer wieder Sätze wie: „Print ist nicht tot!“ oder „Das gedruckte Wort wird überleben!“. Solche Aussagen stören mich.

CLAUS: Warum?

SW: „Wie könnte man dem Kunden sein Problem abnehmen?“ oder „Wie können wir durch unsere Produkte das Leben unserer Kunden verschönern?“, sind die besseren Fragen. Eine Gruppe von Studenten hat z. B. die Idee eines Fortsetzungsromans entwickelt, bei dem der Leser täglich selbst bestimmen kann, wie sich die Handlung weiter entwickeln soll. Je nach Stimmung und verfügbarer Zeit kann er Genre und Länge der Kapitel auswählen. Zwar gibt es für diese Idee noch kein Konzept der Umsetzung, aber es zeigt doch, was entstehen könnte, wenn man bereit ist sich von Kategorien zu  verabschieden und neue technische Möglichkeiten zu nutzen.

CLAUS: Wird sich die allgemeine Verlagsstruktur in Zukunft ändern? Werden Konzepte wie Design Thinking mit flachen Hierarchien in Zukunft zum Standard?

SW: Es gibt kontinuierliche Prozesse der Veränderung, auch in Verlagen. Agilität wird immer wichtiger; spontan auf Entwicklungen zu reagieren. Design Thinking ist mit allen agilen Management-Tools gut kombinierbar und schon allein deshalb sehr zukunftsfähig.
Verlage im Ratgeber- sowie im Belletristikbereich sind hier in ihren Grundsätzen schon richtig eingestellt. Sie sind gut darin schnell auf den Markt zu reagieren. Oft ist es aber billiger ein Buch einfach zu produzieren als im Vorfeld Forschung zu betreiben. Außerdem werden Entscheidungen über ein neues Produkt oder z. B. ein Cover häufig top-down gefällt. Design Thinking hingegen bietet unterschiedlichen Meinungen Raum und die für den Kunden beste Entscheidung gewinnt. Der Zielgruppe ist es egal, ob etwas print oder online ist, sie unterscheidet da nicht. Sie will content konsumieren auf welche Weise ist ihr egal.
Ich finde es schade, dass gerade Sachbuch-Verlage zur Zeit Firmen den Markt überlassen, in denen Werksstudenten Texte zusammenschreiben mit Inhalten, die sie sich aus dem Internet zusammengesucht haben. Dabei sind es doch die Verlage die fundierte Inhalte liefern können. Die Verlage müssen hier Wege finden um sich ihre Content-Hoheit zu sichern.

CLAUS: Und welche Mitarbeiter braucht der Verlag der Zukunft?

SW: Verlage werden sich mehr mit dem digitalen Geschäft auseinandersetzen müssen. Datenmanagement, Digitale Medien, SEO und agiles Projektmanagement sehe ich als zentrale Themen der Zukunft. Eine weitere wichtige Fähigkeit sehe ich in der Empathie für die Zielgruppe und die Liebe zur Zielgruppe. Mit Konzepten wie dem Design Thinking sind wir auf einem guten Weg dorthin!

CLAUS: Vielen Dank für das Interview!

Zusätzliche Informationen zum Design Thinking Lab der Hochschule München und Dr. Sabine Wölflick gibt es unter: www.design-thinking-muenchen.de